Altes währt am längsten – Reußisches Kammerorchester begeistert Publikum
Im 6. Philharmonschen Konzert gehört die Bühne des Konzertsaals wieder dem Reußischen Kammerorchester Gera. Dieses traditionsreiche Kammerorchester, bestehend aus Musikern des Philharmonischen Orchesters Altenburg-Gera, hat es sich seit der Gründung 1961 zur Aufgabe gemacht, die Kleinode vor allem barocker und frühklassischer Werke in ihrem Detailreichtum zu Gehör zu bringen. Der Einladung der künstlerischen Leitung folgte wie schon zur vergangenen Spielzeit Werner Erhardt, der, vor allem bekannt geworden durch die Gründung des berühmten Ensembles „Concerto Köln“, durch unzählige Konzertreisen und CD-Produktionen in Deutschland sowieso international zu großer Bekannt- und Beliebtheit gelangen konnte. Als Solisten stehen ihm und dem Kammerorchester die Blockflötistinnen Friederike Vollert und Elisabeth Neuser (Klasse Prof. Myriam Eichberger, HfM Franz LISZT Weimar) und Andreas Hartmann (1. Konzertmeister MDR Sinfonieorchester und seit 2013 Professor für Violine an der HfM Franz LISZT Weimar) zur Seite, letzterer vereint außerdem die Funktion des Konzertmeisters in sich.
Zu Beginn beider Konzerthälften werden an diesem Abend gleich zwei Erstaufführungen zu Gehör gebracht – der an den Höfen in Karlsruhe und Eisenach wirkende Komponist Johann Melchior Molter (1696-1765) geriet ins Visier der Weimarer Musikwissenschaftler Dr. Helen Geyer und Michael Pauser, die bereits für das letztjährige Konzert Werke dieses unbekannten Komponisten transkribierten und somit ein Stück Musikgeschichte neuerschließen konnten. Die Unbekanntheit des Komponisten schließt jedoch nicht auf den ästhetischen Wert der Musik – das Geraer Publikum wird an diesem Abend mit einer siebensätzigen Musica turchesca feierlich, marschartig getrieben durch Trommel und Becken, furios durch erste virtuose Auf- und Abgänge der Streicher und versöhnlich schunkelnd durch tänzerische Rhythmen begrüßt. Den ersten Auftritt erhalten die beiden Blockflötistinnen bereits im letzten Teil dieses Werkes, welchen sie vom Rang aus absolvieren und prompt das erste Lächeln in den Gesichtern des Publikums hervorrufen. Diese Freude, vor allem die beim Musizieren, ist besonders deutlich im Orchester, welches übrigens im Stehen spielt, ansteckend zu spüren und zu sehen. Sehr engagiert angeführt von Konzertmeister Andreas Hartmann, dazu ständig präsent und motivierend angeleitet von Werner Erhardt, gelingt eine stabile Kommunikation bis zum letzten Ton. Auch das zweite zu hörende Werk Molters, eine Sonata grossa in Es-Dur, kann als gefällige und doch abwechslungsreiche Musik bewertet werden, deren Facettenreichtum in Lautstärke, Tempo und Klangfarbe geschmackvoll vom Ensemble hörbar gemacht werden.
Georg Philipp Telemanns viersätziges Konzert für zwei Blockflöten in a-Moll bildet den ersten Höhepunkt des Abends, wenn auch die Länge von gerade einmal zehn Minuten im Gegensatz zu den sonst zu hörenden Solokonzerten steht. Das Entscheidende liegt jedoch im Detail: den beiden Flötistinnen ist eine enge Vertrautheit zu ihren Instrumenten, der Musik, dem Zusammenspiel mit dem Ensemble und vor allem zwischen einander deutlich anzumerken. Passend zum musikalischen Ausdruck spielen sie erhaben, filigran, artikulatorisch präzis und sicher, klanglich abwechslungsreich und nie langweilig, dem Klischeebild erfolgreich auf ganzer Linie trotzend.
Den Abschluss der ersten Hälfte bildet Joseph Haydns 36. Sinfonie in Es-Dur, ein Werk, das wohl im Sinne seiner Anstellung am Eisenstädter Hof dazu diente, sich einen Namen zu machen und durch seine innovativen musikalischen Ideen letztendlich zu überzeugen. Haydn schreibt verspielt, aber eingängig. Durch die kleine Besetzung von gerade einmal 22 Musikern ist zwar die Chance einer einfacheren Kommunikation gegeben, die Hörbarkeit individueller Fehler jedoch umso größer. Nichts jedoch scheint an diesem Abend schiefzugehen – vor allem rasante Läufe in den Streichern erklingen wie aus einem Instrument, Bläser stimmen intonatorisch und rhythmisch immer überein.
Johann Sebastian Bachs 4. Brandenburgisches Konzert gilt als gedachter Wettstreit zwischen den literarischen Figuren Pan und Musengott Apollo. Pan, verkörpert von beiden Blockflöten, gilt als lyrische Rolle. Apollo, an diesem Abend durch Geiger Andreas Hartmann vertreten, fordert im Gegensatz zum „Schönen“ mit virtuosen Läufen zum Wettstreit heraus. Umringt von Solisten und Ensemble führt Werner Erhardt also den Schlusslauf des Konzertes an, den Andreas Hartmann am Ende zwar musikalisch gewinnt, den Preis für einen unterhaltsamen, niveauvollen, sehr persönlichen und sympathischen Konzertabend gewinnt jedoch das gesamte Ensemble, welches sich aufgrund eines begeisterten und minutenlangen Applauses des Publikums einer hohen Wertschätzung erfreuen darf.
Tobias Hohberg, 08.03.2017