5. Philharmonisches Konzert
Epochale Größen und ein genialer Dirigent.
Weil Großes meist durch Große entsteht und man für tolle Genussmomente oft vorher in den sauren Apfel beißen muss, hat Peter Gülke das Programm für das 5. Philharmonische Konzert der Spielzeit aus Sicht vieler Geraer und Gäste nicht zufällig ausgewählt. Im stimulierend fast vollen Konzertsaal, erklingt vor den Publikums-Krachern Mendelssohn und Dvořák erst einmal Modernes. Avantgarde.
Das Werk Livre pour orchestre bedeutet für viele Zuhörer bloß einen notgedrungenen Vorspann. Das tatsächlich zuerst gewöhnungsbedürftige Stück des polnischen, in Massenkreisen noch eher weniger bekannten Komponisten Witold Lutosławski ist aber große Kunst. Schon im Vorspann durch den Dirigenten als erst bei mehrmaligem Hören und Arbeiten als voll verständlich entschuldigt, lassen die Disziplin und Spannung des Philharmonischen Orchesters Altenburg-Gera einen Plan aber doch sehr schnell erkennen. Nicht ein „Dur-Akkord“ sei zu hören, kündigt Gülke an, doch ist das wichtig? Natürlich nicht. Kunst lässt sich kaum an diesen einfachen Parametern messen. Die einzelnen Kapitel des „Orchesterbuches“ öffnen Welten. Und die Intermedien verspotten schon fast die Hörerschaft. Nicht böswillig, nur mit einem zwinkernden Auge. Die Musiker des Orchesters folgen der Linie des Werkes und Gülkes bemerkenswert. Auch für sie kein alltäglicher Stoff. Und so bietet der Vortrag dieses zeitgenössischen Werkes wunderbare Kunst. Diese naserümpfend zu verschmähen, also schon von vornherein abzulehnen, ist genauso großer Unfug, wie die Frage nach einer Verkleinerung des Orchesters zu stellen, wenn dieses doch an drei Tagen hintereinander wohl drei Vorstellungen fast ausverkauft. Wenn wir über die Rolle der Kunst diskutieren, die dabei verloren geht, dann öffnen wir uns bitteschön auch für diese Kunst! Es lohnt sich, den Horizont zu weiten.
Mit Felix Mendelssohn Bartholdys Violinkonzert e-Moll kommt dann der Klassiker. Endlich! Wohlklingende Harmonien! Was für ein Segen für ein Gros des Publikums. Die Spannung im Orchester lässt zwar leider etwas nach, was sich auch immer mal wieder in kleinen rhythmischen Ungenauigkeiten bemerkbar macht, der Solist ist dafür aber klasse. Maximilian Junghanns klebt bei seinem Vortrag nicht wie andere an den Schuhspitzen der Hörer, sondern er musiziert stark mit dem Orchesterkörper und besonders mit Peter Gülke. Der intensive Blick zwischen beiden im letzten Ton bleibt unvergesslich. Junghanns scheint allgemein aus dem Holz für Stars geschnitzt zu sein. Spielt er nicht nur technisch einwandfrei, zeigt er auch offen seine große Lust am Werk und fängt gleichzeitig das Publikum ein. Allein der Zugabe hätte es nicht mehr bedurft. Natürlich brechen die Jubelstürme los. Verdienter Maßen. Ein Klassiker und Lieblingsstück eben.
Nach der Pause tritt mit Antonín Dvořák Sinfonie Nr. 7 dann besonders Peter Gülke in den Vordergrund. Er entlockt dem Meisterwerk besonders die dramatischen Momente. Die gewaltigen Figuren sind die stärksten an diesem Abend. Wahrhaft monumental lässt er alles im Finale enden. Ein wahrer Hörgenuss und Blickfang, mit welcher Intensität dieser Einundachtzigjährige auf der Bühne Inspirationsquelle und absolutes Spannungszentrum darstellt. Das Orchester tut sein Möglichstes dazu, leistet sich aber keine wirklichen Kritikpunkte. Dass dieser Meister schließlich doch noch bescheiden seinen „eigenen“ Jubel bekommt, ist mehr als gerechtfertigt. Wer Gülke nicht auf der Bühne erlebt hat, dem kann man getrost bestätigen, etwas Wichtiges verpasst zu haben!
Felix Lorber