1. Philharmonisches Konzert

Das Theater Gera-Altenburg öffnet nach der Sommerpause wieder seine Pforten und lädt zum ersten Philharmonischen Konzert der Spielzeit 2016/2017 ein; auf dem Programm stehen Brahms‘ Violinkonzert und Tschaikowskys 6. Sinfonie.

Das Violinkonzert in D-Dur von Johannes Brahms debütierte 1879 mit mittelmäßigem Erfolg unter Leitung des Komponisten in Leipzig. Besser kann es also nicht passen, dass der seit 2001 amtierende Konzertmeister des Leipziger Gewandhausorchesters, Sebastian Breuninger, dieses Werk interpretiert. Lange muss er auf seinen ersten Einsatz warten, bis das Orchester die Vorstellung beider musikalischer Themen beendet hat; mit dem ersten Akkord bereits zieht Breuninger das Publikum in seinen Bann. Seine exzentrischen Bewegungen und der immerwährende Kontakt mit Dirigent Laurent Wagner sind es, die seinen optischen Auftritt einzigartig machen. Der erste Satz im Wechselspiel zwischen Orchester und Solist gelingt als gute, von Brahms angedachte, Verschmelzung. Wenngleich der Solist nur im ersten Satz zuweilen klanglich etwas in den Hintergrund gerät, ist das Orchester stets bemüht, selbst mit kleinen intonatorischen Startschwierigkeiten, nicht mehr als gewollt als Gegenpart aufzufallen. Die virtuose Solokadenz gelingt tadellos und verrät die ganze Qualität des 44jährigen Solisten (Brahms schrieb in diesem Alter das Violinkonzert). Der zweite Satz als klanglicher Höhepunkt, eingeleitet von den Bläsern, bleibt als gelungenster Moment im Gedächtnis, in dem Breuningers nebst der Virtuosität aus dem ersten Satz auch die klanglichen Facetten seines Instrumentes dem Zuhörer zugänglich machen kann. Ein dritter und letzter Satz, ein in ungarischem Stil geformtes Rondo, zeigt erneut das Geschick und Können des Solisten im perfekten Zusammenspiel mit dem Orchester. Ständige auf- und abgehende Tonleiter oder Dreiklänge bis zum letzten Zentimeter des Griffbretts erscheinen als Leichtigkeit abgetan, das Orchester unterstützt den Solisten dabei mit energievollen letzten Einsätzen, bis das Stück mit drei kraftvollen Akkorden und begeistertem Applaus beendet wird. Sebastian Breuningers Auftritt wird quittiert mit minutenlangem Beifall, die Zugabe Humoresque No. 7 von Antonin Dvorak mit Begleitung des Orchesters bildet den Schluss einer gelungenen ersten Hälfte des Konzertes.

Peter Tschaikowskys sechste und letzte Sinfonie liefert bis heute große Unklarheiten in Bezug auf seine biografische Deutung. Er selbst füllte die musikalischen Sätze mit wörtlichem Inhalt; in einem Brief an seine Cousine Anna Petrowna schrieb er vom Anfang seines Kontaktes zur Musik über seinen Weg zum Ruhm bis hin zum Ende, wohin alles mündet. Das einzigartige Werk, das erst nach dessen Uraufführung den Beinamen „Pathétique“ erhält, erzählt also die Lebensgeschichte einer der bedeutendsten Komponisten seiner Zeit.

Bereits die ersten gespielten Takte des Orchesters versprechen viel von dieser Geschichte, ein für Gera-Altenburg ungewohnt großer Klangkörper aus Streichern führt in die Welt des Komponisten ein. Ein teils verspieltes, teils verzweifeltes Thema erhält Zugang in allen Registern, die Bratschen glänzen im ersten Satz mit brillanten Soli, die Geigen bringen mit hochromantischen, seufzenden Melodien den verzweifelten, aufschreienden Charme, Holz- und Blechbläser färben die Stimmung genau richtig, Bässe und Celli erzeugen die typisch düsteren Klänge Tschaikowskys. Vor allem Soloklarinettist Hendrik Schnöke ist nach diesem Abend hervorzuheben, welchem gelang, den Konzertsaal mit seinen leisesten Tönen in Hochspannung zu versetzen. Der verspielte zweite Satz im 5/4-Takt führt in die Jugendwelt des Komponisten ein, verspielt und unbeschwert, vor allem erzeugt durch die spürbar übertragene Energie des Dirigenten Wagner. Ein Tanz, ein letzter Blick in die unbeschwerten Tage Tschaikowskys, doch nie ohne eine hörbare Traurigkeit in allem. Eine stürmische Tarantella und ein gleichzeitig treibender Marsch bilden den dritten Satz, der seinem Charakter nach zeitgemäß ein letzter Satz ist, was nach dessen Beendigung auch direkt mit einigen verfrühten Bravorufen und Applaus bewertet wird.

Tschaikowsky jedoch beendet seine letzte Sinfonie mit klagenden Klängen, Verzweiflungsrufen, welche vom Orchester in Perfektion hörbar gemacht wurden. Letzte Rufe des Solohorns, immer abwärtsgehend, versprechen einen düsteren Ausgang des Werkes. Einige letzte Versuche des Aufbäumens werden vom Dirigenten und den Musikern in all ihrer Intensität und Innigkeit spürbar auf das Publikum übertragen, das Werk endet im leisesten Nichts.

Peter Tschaikowsky stirbt neun Tage nach Aufführung dieser Sinfonie, nur allzu passend zur Stimmung seiner Musik.

Das Philharmonische Orchester Altenburg-Gera überzeugt an diesem Abend auf ganzer Linie, die Geschichte der Musik ist in ganzer Vollkommenheit erzählt, es begeistert und lässt mitfühlen; die Eröffnung der neuen Spielzeit verspricht viel für die kommende Saison.

 

Tobias Hohberg, 07.09.2016