(nmz) – Das Philharmonische Orchester Altenburg Gera ist nicht nur auf Gastspielreise in Temeswar und Bukarest, sondern auch als Kulturbotschafter unterwegs. Joachim Lange hat die Gastspielreise begleitet und berichtet von Synergien zwischen den Kooperationspartnern, von der Musik- und Weltgeschichte im allgemeinen und der Idee einer „Zukunftsmusik ostwärts“ im besonderen. 06.11.2019 – Von Joachim Lange
Es ist ein kühnes Projekt: Das Philharmonische Orchester Altenburg Gera und die Philharmonie Banatul Timișoara (oder Temeswar wie die kleine, aber respektierte deutsche Minderheit dort sagt) legen ihre begrenzten Ressourcen zusammen und spielen gemeinsam, was sie alleine nie könnten: Gustav Mahlers Sinfonie Nr. 3. Das ist die mit dem übermächtigen ersten Satz, dem Altsolo „Oh Mensch gib acht“ und dem Blick auf’s Weltganze. Abendfüllendes sinfonisches Prachtstück und Herausforderung in Einem!
Dazu reiste das Orchester in Geras Partnerstadt Temeswar und füllt so den programmatischen Ansatz, den das Thüringer Zweistädte-Theater Altenburg-Gera mit Bedacht „Zukunftsmusik ostwärts“ genannt hat, mit Leben. Davor ein Brahmskonzert der Altenburg-Geraer und dann als Clou in Bukarest ein Konzert im schönsten Konzertsaal des Landes, dem Athenäum, die rumänische Erstaufführung eines Cello-Konzertes des renommierten rumänischen Komponisten Dan Dediu, das die Thüringer bei dem Rumänen in Auftrag gegeben und daheim bereits mit Erfolg uraufgeführt hatten. Alles jetzt im Rahmen eines Festkonzertes aus Anlass von 30 Jahren Fall der Berliner Mauer! Für so ein Unternehmen lässt man schon mal die Instrumente per Spezialtransporter nach Rumänien reisen und setzt sich selbst ins Flugzeug.
Möglich wurde das Unternehmen durch den spektakulären Erfolg, den das Theater Altenburg Gera in der Spielzeit 2017/18 mit seiner Oedipe-Produktion eingefahren hatte. Eine Pionierarbeit in Sachen des rumänischen Komponisten Nr. 1 George Enescu, der sich aktuell sonst nur die Salzburger Festspiele gestellt haben. Zusammen mit der handfesten „Ermutigung“ durch eine 250.000 Euro Zuwendung vom Bund (aus dem Förderprogramm „Exzellente Orchesterlandschaft für den kulturellen und musikalischen Austausch mit Rumänien und Ungarn“) gab es starken Rückenwind für eine kulturpolitische Initiative, mit der sowohl die Städtepartnerschaft als auch die Kulturhauptstadtbewerbung plötzlich jenseits aller Absichtsrhetorik konkrete Gestalt angenommen hat.
Temeswar ist es nämlich gelungen, was Gera gerade gegen eine Schar von starken Mitbewerbern versucht: die rumänische Stadt, die von der Hauptstadt Bukarest ungefähr genauso weit entfernt ist wie von Wien, ist Kulturhauptstadt Europas im Jahr 2021. In Temeswar, wo man schon mal mit dem Etikett „Klein Wien“ kokettiert, ist mancher – wie der weltläufige, gerade installierte neue Intendant der Staatsoper Temeswar, der Bariton Christian Rudik, der Meinung, dass die Entfernung nach Wien im übertragenen Sinne geringer ist, als die nach Bukarest. Ein Spaziergang durch die Innenstadt von Temeswar lässt den Besucher staunen. Die Zahl der erhaltenen und noch zu rettenden architektonischen Schmuckstücke der Vergangenheit ist unübersehbar, der Investitionsstau aber auch.
Die Botschaft der Musik
Im Zentrum freilich standen die beiden Konzerte in Temeswar und das Festkonzert in Bukarest. Brahms hatten die Thüringer im Gepäck. Vor der Sinfonie Nr. 1, c-Moll, die dann auch in Bukarest (unter ungleich günstigeren akustischen Bedingungen) noch einmal erklang, hatten die Gäste aus Deutschland den Pianisten Bernd Glemser dabei, der seinen Part beeindruckend souverän beisteuerte. Mahlers Dritte war dann kooperierendes Experiment, das GMD Laurent Wagner vor Ort in Form brachte. Mit gemischten Pultbesetzungen, für die sich der GMD in intensiver Vorarbeit entscheiden musste. Heraus kommen gemischte Besetzungen, die jeweiligen Stärken zu nutzen versuchten. Am Ende steht mit 60 Musikern aus Gera und mit 52 aus Temeswar die Orchestergröße für ein Mahler-Erlebnis der besonderen Art. Natürlich wissen hier alle Beteiligten, dass sie damit nicht im Schlusssprung in die Spitzenriege der Mahler-Interpretation landen. Hinzu kam, dass die Eröffnungsreden etwas lang gerieten und die Musiker dicht gedrängt auf ihren Auftritt warten mussten, so dass manche Passage in der Generalprobe präziser geriet, als beim Konzert. Dennoch machte das Gesamtresultat trotzt der schwierig trockenen Akustik des ehemaligen Kino-Saales Eindruck: inklusive Aura Twarowskas Altsolo, die Chöre und Kinderchor. Das kooperative Mahler-Experiment hat noch ein Schlusskapitel: in Gera wird es am 13. November in dieser Besetzung unter etwas günstigeren räumlich akustischen Bedingungen wiederholt!
Abends in die Oper
In Temeswar nutzten viele der Gäste aus Deutschland, so wie der Autor, einen vorstellungsfreien Abend, um sich Lehars „Lustige Witwe“ im Opernhaus anzuschauen. In Rumänisch und ausschließlich aus dem Hausensemble besetzt, war das eine interessante Erfahrung. Ein Haus, das in dem Übrigen auch das deutsche, ungarische und serbische Theater beherbergt! Dem neuen Intendanten nimmt man den Willen zur Modernisierung, den er im Gespräch mit einer Portion k.u.k Charme vermittelt, durchaus ab. Sein Orchester, die Akustik des Hauses und der Chor sind die Pfunde, die (mehr als die ererbte Ensemblestruktur) überzeugen. Das einheimische Publikum jedenfalls akzeptiert seine „Lustige Witwe“ so wie sie ist. Im Falle der mit Esprit und Stimme verschwenderischen Narcisa Brumar als Hanna Glawari zum Beispiel war das auch nachvollziehbar.
An die tragischen Besonderheiten der rumänischen Revolution von 1989, die von Temeswar ausging, erinnert der Blick vom Balkon des Opernhauses auf die imponierenden, verwitterten Fassaden. Deren Einschusslöcher zeugen noch immer davon, dass die Securitate hier mit Gewalt gegen die Massen vorging.
Der Mauerfall und die Musik
Der Punkt auf dem i dieses Go-East-Ausfluges der Thüringer Musiker bildete das Festkonzert aus Anlass von 30 Jahre Mauerfall im Bukarester Athenäum. Der runde, 800 Plätze fassende Saal mit einem Durchmesser von 28,5 Metern und mit 16 Meter Höhe ist ein architektonisch akustisches Schmuckstück mitten im Bukarester Zentrum. Der erste Saal des Landes sozusagen. Hier gab es vor Brahms im ersten Teil des Konzertes die rumänische Erstaufführung des von Gera-Altenburg beim rumänischen Komponisten Dan Dediu (*1967) in Auftrag gegebenen und in Gera uraufgeführten Konzertes für Violoncello und Orchester. Vom Rundfunk übertragen, mit packender Sinnlichkeit und Mircea Marian am Violoncello, traf Dedius Komposition mit ihrer abwechslungsreich assoziativen Musik die Erwartungen eines begeisterten Publikums.