4. Philharmonisches Konzert

Geschmackvoller Einstieg ins neue Jahr

 

Zum 4. Philharmonischen Konzert der laufenden Spielzeit erwartet das Geraer Publikum ein Programm russischer, wenn gar unübertroffen schöner, Romantik. Das Dritte Klavierkonzert in d-Moll von Sergei Rachmaninow bildet die erste Konzerthälfte. Der in Gera gern und schon oft gesehene Solist Bernd Glemser, der sich wegen seiner mittlerweile 35 CD-Aufnahmen und Erfolge bei renommierten internationalen Wettbewerben zu einem führenden deutschen Pianisten entwickelt hat, darf als Besonderheit und Auszeichnung für die Geraer Bühnen verstanden werden. Eine weitere Besonderheit dieses Abends sind Mikrofone auf der Bühne. Aufgezeichnet vom Deutschlandradio Kultur stehen die Musiker also vor einer nicht alltäglichen Herausforderung – Fehler sind also deutlich „unverzeihlicher“ als sonst.

Der sympathische Pianist, der, wohl als Rachmaninow-Experte geltend, das Dritte Klavierkonzert bereits mit den drei anderen Klavierkonzerten Rachmaninows auf CD aufnehmen ließ und sich durch viele Darbietungen bei Wettbewerben und Konzerten bewies, beschäftigt sich quasi schon sein ganzes Leben lang damit. Ein im Programmheft abgedrucktes Interview mit ihm verrät, dass die Tiefe der Musik erst mit dem Alter und dem vielmaligen Beschäftigen mit der Materie erkennbar wird.

Das Geraer Publikum, welches an diesem Abend somit Zeuge einer Momentaufnahme dieser Entwicklung ist, darf sich im etwa 40-minütigen Konzert also zurücklehnen, während der Solist im Durchschnitt 13 Noten pro Sekunde spielt. Der erste Satz, kurz eingeleitet durch das Orchester, rückt das Klavier sofort in den Vordergrund. Der Schwierigkeit, dem Klavier wegen seiner mechanischen Tonerzeugung die Gesanglichkeit zu entlocken trotzt Glemser durch sensiblen Anschlag der Tasten, egal in welcher Lautstärke. Dirigent Laurent Wagner, deutlich konzentrierter als sonst für die perfekte Verbindung von Orchester und Klavier, führt exakt nach den Tempi des Solisten, stellt Orchestersoli vorsichtig in den Vordergrund und lässt sonst das Klavier ganz behutsam brillieren. Glemser gelingen die virtuosen Läufe, Akkorde und rhythmischen Schwierigkeiten über dem Puls des Orchesters hervorragend. Sein Können und die Berechtigung zum Titel eines führenden Pianisten werden vor allem in der Kadenz des ersten Satzes unter Beweis gestellt, ganz zum Erstaunen der Zuhörer, welche trotz der Kraft und Intensität der Musik jede musikalische Idee und Interpretation nachvollziehen können. Die Qualität lässt bis zum Ende des Werkes in den Sätzen zwei und drei nicht nach, jubelnder Applaus sind logisches Resultat nach der überzeugenden, runden Darbietung an diesem Abend. Eine Zugabe beendet Bernd Glemsers Auftritt vorerst, vielleicht wird der gern gesehen und gehörte Pianist in den nächsten Spielzeiten wieder Gast in Gera sein.

Die 4. Sinfonie in c-Moll von Sergei Tanejew, beides wahrscheinlich den wenigsten Zuhörern im Saal bekannt, steht musikalisch im Mittelpunkt der russischen Spätromantik im Umfeld der Personen Tschaikowsky, Rachmaninow, Skrjabin und Rubinstein, welche durch das Moskauer Konservatorium in einem ständigen Lehrer-Schüler-Verhältnis standen. Sergei Tanejew, der nicht zu solch großer Berühmtheit erwachsen konnte wie seine engsten Zeitgenossen, hat somit trotzdem das musikalische Geschehen in Russland und über die Grenzen nach Europa hinaus stark beeinflusst. So wundert es nicht, dass seine 4. Sinfonie in Tonsprache, „russischer Dramatik“, starken Akzenten durch Blechbläser und leidenschaftlichen Unisono-Streicherpassagen sowie singenden Holz-Soli eher an Tschaikowsky erinnern lassen. Dass das Philharmonische Orchester Gera-Altenburg mit russischen Kompositionen dieser Zeit musikalisch sehr gut umgehen kann, bewiesen sie bereits im September des letzten Jahres mit Tschaikowskys 6. Sinfonie.

Der erste Satz wirkt wie ein klanglicher Befreiungsschlag nach der so disziplinierten Begleitung des Solokonzertes. Die Komposition kommt diesem Ausbruch ganz gelegen – ein Forteeinstieg im gesamten Orchester, danach wechselnde Soli über unruhigen Achteln der tiefen Streicher münden in einem Crescendo zum ersten Höhepunkt des Stückes, die Aufmerksamkeit der Zuhörer hat sich das Orchester schon gesichert. Gesangliche Soli, egal in welcher Instrumentengruppe, gelingen geschmackvoll, nicht aufdringlich und das Orchester ist zu jeder Zeit bereit, Dramatik durch Passagen in die Höhe und sofortigen Lautstärkean- und abstiegen überzeugend darzubieten. Auch Dirigent Wagner, nun nicht mehr in der Rolle des Bindeglieds, widmet sich seinem Orchester leidenschaftlich, dennoch kontrolliert und flexibel. Die ständige Bereitschaft von Intensität, die dieser kräftezehrende Satz von den Musikern abverlangt, wird bis zum Ende durchgehalten.

Der langsame zweite Satz, nach Tanejews plötzlichen Tod im Jahr 1915 zu dessen Trauermarsch durch die Straßen Moskaus gespielt, steht im Gegensatz zum ersten – ein ruhiger und warmer Klangteppich breitet sich aus, Klarinette, Oboe und Horn glänzen mit gesanglichen Soli über dem brummenden Fundament der Streicher.

Ein kurzes Scherzo als dritter Satz mit einer kecken Oboe als Mittelpunkt bildet eine Auszeit zur mittlerweile für den Zuhörer herausfordernden langanhaltenden Dramatik des Werkes. Zu dieser führt aber sogleich der vierte und letzte Satz, nun mit „militärischen“ Einschüben durch kurze Trommel- und nahezu lustigen Triangelwirbeln. Immerwährenden Anstiege im Spannungsbogen sind bezeichnend für das Werk. Der konditionellen Herausforderung der Komposition sind die Musiker gewachsen, letzte Kräfte werden für acht Schlussakkorde über einem Paukenwirbel und somit dem Schluss der Sinfonie gebündelt.

Das Publikum quittiert diese Leistung mit langanhaltendem Applaus, Dirigent Wagner und Musiker scheinen zufrieden mit ihrer Darbietung. Bis auf wenige tonliche „Patzer“ war das Konzert der Situation entsprechend aufnahmereif – ein wichtiges Kriterium für die Qualität dieses Orchesters.

Nochmals zu hören ist dieses Konzert am 02.02.2017 um 20:03 Uhr im Deutschlandradio Kultur.

19.01.2017

Tobias Hohberg