Oratorium und Mendelssohn, Grünert und Gera
Ein Großes Bibeldrama im Konzertsaal versprach der Programmtext für das 2. Philharmonische Konzert der Saison 2014/2015. Und was versprochen wurde, sollte mehr als gehalten werden. Es gab Dramatik en masse; es gab den alttestamentarischen Text in einer Gewandung und Lebendigkeit, dass so mancher vergessen konnte, dass er aus der Bibel stammt; und es gab ein Oratorium, bei dem der Zuhörer schwankt, ob er sich nicht doch in Konzert oder Oper befindet.
Felix Mendelssohn Bartholdys Elias-Oratorium wurde 1846 uraufgeführt, also vor über 150 Jahren und doch, so scheint es, könnte es auch wesentlich jünger sein. Die Handlung, welche tatsächlich schnell, dramatisch und abwechslungsreich die Geschichte des Propheten Elias erzählt, der von Gott auserwählt wurde, das Volk Israels wieder zum rechten Glauben zu führen, findet ihre Erzählung in oft so klaren und scheinbar modernen Textphrasen der Arien, Chöre oder Rezitative, dass der Zuhörer von heute begeistert sein muss. Nicht nur Bibelkenner zieht diese Handlung in Bann; die Dramatik entfaltet sich für beinahe jeden. Dazu trägt natürlich die Musik Mendelssohns in hohem Maße bei. Auch sie ist abwechslungsreich, manchmal kurzweilig und unglaublich romantisch. Häufig fühlt man sich wohl beinahe mehr in einer Oper als in einem Oratorium sitzend.
Um dieses außergewöhnliche Werk auf die Bühne zu bringen, ließ sich das Philharmonische Orchester Altenburg-Gera vom Chor der Dresdner Frauenkirche unterstützen. Matthias Grünert, Frauenkirchenkantor und längst bekannter und gern gesehener Gast in Gera, ließ es sich da natürlich nicht nehmen, für das Dirigat verantwortlich zu zeichnen. Und er tat es mit solchem Elan und augenscheinlich großer Freude an seiner Arbeit, dass nicht nur die Musiker des Orchesters angesteckt wurden, sondern auch die Zuhörer. Wie bei wohl mittlerweile jedem seiner Gastspiele verliebte sich das Publikum Schritt für Schritt, Stück für Stück mehr in diesen Dirigenten.
Für die Besetzung der Solistenrollen hatte sich Grünert ebenfalls Verstärkung aus Dresden mitgebracht. Tobias Berndt, Bariton, Christiana Elbe, Sopran, Britta Schwarz, Alt und Eric Stokloßa, Tenor, wirkten im Laufe ihrer musikalischen Karriere in Dresden oder sind derzeit an laufenden Projekten in der Elbmetropole beteiligt. Besonders Christiana Elbe zog das Publikum von Anfang mit ihrer Opernstimme in den Bann. Berndt, der den Elias verkörperte, anfangs etwas verhalten, sang sich jedoch Arie für Arie mehr in seine Rolle, bis er für den Hörer schließlich zum wahrhaftigen Elias auf der Bühne werden musste. Alle vier Solisten begeisterten neben der stimmlichen auch mit einer nicht immer selbstverständlichen interpretatorischen Leistung.
Und schließlich der Chor, der in interessante schwarz-grüne Roben gekleidet anfangs eine noch nicht gänzlich unantastbare Erscheinung abgab, aber wie auch die Solisten mit jedem seiner Einsätze besser wurde. Als schließlich der Schlusschor von den Sängerinnen und Sängern des Frauenkirchenchores wuchtig mitreißend das Werk beschloss, gab es auch auf Rang und Parkett kein Halten mehr. Jubelstürme erreichten ungewohnt schnell die Bühne, wobei sich der bescheidene Matthias Grünert, wie sollte es anders sein, als der eigentliche Star und Liebling des Publikums herausstellte und frenetisch gefeiert wurde.
So bleibt man schließlich zurück mit einem großen Werk Bibel- und besonders Musikgeschichte, das einen nicht so schnell wieder los lassen will. Immer wieder muss man an Elias und seine Entscheidung denken, für seinen Gott zu leiden. Und noch häufiger an Mendelssohn, wie es ihm gelungen ist, ein solches Stück Musik vorzustellen, in dem sich der Hörer kaum entscheiden kann, wem er mehr folgen soll, Geschichte oder Musik. Grünert und sein Ensemble sorgten in Gera aber schließlich doch dafür, dass die Musik den noch wichtigeren Stellenwert einnimmt. Dafür darf man ihnen dankbar sein. Die einzige offene Frage stellt sich nach dem Aufführungsort- ein eindrucksvoller Konzertsaal kommt hier wohl doch nicht an der einzigartigen Atmosphäre einer Frauenkirche vorbei.
Felix Lorber