4. Philharmonisches Konzert

Klangfülle oder Das Programmatische der Sinfonie

Das 4. Philharmonische Konzert 2015/16 steht im Zeichen des 100. Geburtstags von Henri Dutilleux am 22. Januar 2016. Dieser französische Ausnahmekomponist, der beinahe ein ganzes Jahrhundert Musikgeschichte erlebte und prägte, ist in Deutschland ein noch weitgehend Unbekannter. Dies scheint mehrfach verwunderlich, war er doch einer der zu Lebzeiten meist gespielten Komponisten der Welt und auch sein Vermächtnis erfreut sich in Frankreich großer Beliebtheit. Ergänzt werden die beiden Dutilleux-Werke mit dem Publikums- und besonders Schulklassiker Hector Berlioz‘ „Symphonie fantastique“.
Allein für die Programmzusammenstellung sollte an Lob nicht gespart werden. Es bedarf doch eines gewissen Mutes eine ganze Programmhälfte mit „moderner“ Musik zu füllen. Henri Dutilleux‘ Versuche mit der sinfonischen Form sind begeisternd und anspruchsvoll bis anstrengend gleichermaßen.
„Le Loup“, drei fragmentartige Szenen von einer Schaustellerbühne, über das eheliche Zimmer bis in den winterlichen Wald strotzen vor Zauber und Amüsement. Das vielleicht größte Orchester der Spielzeit folgt Laurent Wagner auf dieser Reise sehr engagiert. Man glaubt die Seiltänzer sehen zu können und selbst die voluminösen Blechbläser zeichnen Eleganz und Kraft zu ausgewogenen Teilen. Auch folgt das Publikum diesem relativ kurzen Ausflug zu noch großen Teilen interessiert. Die bildhaften Satzbezeichnungen erleichtern die Verfolgung des Klangspektakels.
Das zweite Stück von Dutilleux „Tout un monde lointain“, ein Cello-Konzert, 17 Jahre später als Le Loup entstanden, verlangt dann schon mehr ab. Wenn man so will, moderner, entstehen Klangwelten, nahe am Abgrund von Wirklichkeit und Vision, ständig in der Stimmung, zu kippen. Ein stark aufspielender Peter Bruns, wohl einer der gefragtesten Cellisten Deutschlands, vermag alle Seiten aus seinem Instrument nach dem Gusto Dutilleux‘ zu zaubern. Die Welten, sie verschwimmen und erscheinen wieder, zwischen Gewalt im Orchestersatz und abstraktem Thema im Violoncello. Die stärksten Szenen haben Ensemble und Solist in den verwischenden Übergängen zwischen den Instrumentengruppen. Plötzlich steht da ein ausgehaltener Klang, von dem man sich ungläubig fragt, woher er kam. Bruns spielt das Cello in unglaublicher Fertigkeit teilweise an der Grenze zum Violinen-Timbre und selbst das Schlagwerk scheint Bläser- oder Streicherklänge zu imitieren. Auch, wenn in seiner Länge für das Gros der Geraer Hörer zehrend, besticht die Umsetzung durch ihre Exaktheit und Intensität durchgehend.
Berlioz‘ „Symphonie fantastique“, stark autobiographisch die Visionen eines Künstlers schildernd, sorgt in der zweiten Hälfte noch einmal für Spannung. Das Orchester löst sich von den Anstrengungen der ersten beiden Stücke und spielt immer freier zum Kern der Programmsinfonie hin auf. Sind die ersten drei Sätze noch diszipliniert zurückhaltend, brechen sich in der Opium-Vision und der Sabbatnacht in Satz vier und fünf Spiellust und Emotionen Bann. Besonders die schauerliche Atmosphäre der Totenglocken, das Grollen der Pauken und der schräge Wahnsinn im Tanz und Dies irae der Bläser und dann Streicher verhelfen dem Abend zum Höhepunkt. Wenn Laurent Wagner beinahe auf sein Pult springt und ovationsartiger Applaus auf den Vortrag folgt, sind Publikum und Orchester wieder versöhnt. Berlioz- er bleibt ein Klassiker in Gera.

Felix Lorber