CD -Besprechung Paul Graener

Beherzter Einsatz
Das Philharmonische Orchester Altenburg-Gera mit Eric Solén an der Spitze bricht eine Lanze für den Komponisten Paul Graener – im Konzert und auf CD

„Zweierlei Arten von Werken brechen sich selbst ihre Bahn: die Schöpfungen der ganz großen Dichter, im Lauf der Jahrhunderte; und bestsellerhaft-quick, der Edelkitsch. Deshalb ist es wichtig, für das Schaffen der Guten Meister zweiten Ranges einzutreten, die sonst oft unbeachtet, durch die Dünung der Jahrzehnte an die Ränder des Literaturmeers gespült werden …“
Die Sätze des lange und oft unterschätzten literarischen Außenseiters Arno Schmidt kamen mir beim Wiederhören dieser beeindruckenden Graener-CD in den Sinn. Überträgt man sie sinngemäß auf Musik, dann lesen sie sich wie ein Konzertplan-Konzept, dem das Geraer Theater (wie in Oper, Schauspiel oder Ballett) von Beginn an und bis heute (auch) folgt. Jüngst war der Komponist Hans Gál erstmals zu hören. Und im März 2009 erhielt Paul Graener, der jahrzehntelang Vergessene, seinen Auftritt. Exzellent musiziert, kam das facettenreiche Porträt eines jener Guten Meister zweiten Ranges aus dem 20. Jahrhunderts zum Vorschein, der aus Barock und Spätromantik, aus Impressionismus, Jugendstil und Neoklassizismus mit jeweils wechselnden Akzentuierungen durchaus Eigenes geschaffen hat, ohne dass er je zum Wegbereiter geworden wäre. Damit zählte das Philharmonische Orchester Altenburg-Gera unter Leitung von GMD Eric Solén zu den Ersten, die für die Musik dieses Wanderers zwischen Welten, Zeiten und Stilen eine Lanze brachen. Denn um das Jahr 2010 wurde dem deutschen Komponisten mit britischem Pass und einem Hang zur französischen Klangkunst erneut und mehrfach Aufmerksamkeit zuteil. Und in diesem Konzert war und auf dieser CD ist schillernde Musik als Ausdruck einer schillernden Persönlichkeit zu erleben!
Paul Graener kam am 11. Januar 1872 in Berlin zur Welt. In London, Wien und Salzburg, in Leipzig, Berlin und Dresden, in München und wiederum in Berlin fand er attraktive Ämter, Aufträge und Aufführungsorte. Er galt als „erster Komponist in unserem Lande“, sein Name hatte „auch über die Reichgrenzen hinaus einen guten Klang“ – und er war Propagandist, Protegé und Profiteur der NS-Politik. An der Preußischen Akademie der Künste beerbte er die von den Nazis vertriebenen jüdischen Musiker Schreker und Schönberg als Leiter einer Meisterklasse. Frühzeitig trat er dem „Kampfbund für deutsche Kultur“ und der NSDAP bei und wurde in der Nachfolge von Wilhelm Furtwängler (bis 1944) Vizepräsident der Reichsmusikkammer. Er sandte Treuebekundungen an seinen Führer, ließ sich von Adolf Hitler mit 30.000 Reichsmark aus der Patsche helfen und steuerte zu einem Goebbels-Auftritt schon mal eine Uraufführung bei („Prinz Eugen, der edle Ritter“). Doch er schützte auch jüdische Freunde, hielt an seinem jüdischen Verleger fest und hatte nach 1939 kaum noch Chancen. 1943 flüchtete er aus Berlin, verlor bei Bombenangriffen sein Hab und Gut und starb am 11. November 1944. Verarmt und unbeachtet, fand er auf dem Salzburger Kommunalfriedhof in einem Massengrab seine letzte Ruhestätte. 12 Bühnenwerke, über 200 Lieder und viele chorsinfonische und Instrumental-Werke hat er hinterlassen.
Unter den vier Werken dieser CD befindet sich Graeners bekanntestes und erfolgreichstes: „Die Flöte von Sanssouci“, eine Suite für Kammerorchester. Nach ihrer Würzburger Uraufführung im August 1930 erlebte sie innerhalb von zwei Jahren sechzig Reprisen in 52 deutschen Städten – in Berlin, Venedig und New York mit Furtwängler, Erich Kleiber und Toscanini als Dirigenten. Vier Sätze faszinieren den Hörer. Ihr stimmungsvoller Beginn kehrt am Ende wieder, und die Tänze umrahmen ein reizendes, melodisch einprägsames Air. Dem empfindsamen Flötenspiel und damit der (Klang-) Figur des preußischen Königs Friedrich II., auf den der Werktitel hinweist, verleiht Andreas Knoop schönste Präsenz und Ausstrahlungskraft. Graeners „Turmwächterlied“, 1939 beim Internationalen Musikfest in Baden-Baden uraufgeführt, besteht aus „Orchestervariationen über ein Gedicht von Goethe“; es ist eines seiner vielen, vom deutschen Dichterwort inspirierten Kompositionen. „Zum Sehen geboren“ aus Faust II löst Düsternis und Choral-Klang, Angriffs-Szenario und trotziges Widerstehen, Festlichkeit und erneute Dunkelheit aus. Den Titel seiner 2. Sinfonie, der „Wiener Sinfonie“, hat Graener mit den Worten „Die schönsten Sinfonien sind in Wien entstanden“ erläutert. Von den Berliner Philharmoniker unter Hans Knappertsbusch am 25. November 1941 uraufgeführt, war ihr ein „beglückend reicher“ Erfolg beschieden. Aus weitgeschwungenen sanglichen Themen, zarter Lyrik, fein erfundenen und austarierten Klängen und überdies aus Bezügen zu Mozarts Jupitersinfonie und zur Suite „Die Flöte von Sanssouci“ entwickelt Graener dieses ausdrucksvolle Opus 110. Es war sein letztes Werk, das bei Eulenberg herauskam, ehe der Verlag im Zuge der „Arisierungsgesetze“ enteignet wurde. Den Auftrag für sein letztes vollendetes Werk, das Flötenkonzert op. 116 , erhielt der Komponist 1944 vom Zimmermann-Verlag, der seit 1940 ebenfalls offiziell verboten war. Dem Schlusssatz dieses freundlich-innigen, von Musizierlust durchzogenen Stücks liegt das deutsche Volkslied „Freut euch des Lebens“ (1793) zugrunde – Graener bleibt Optimist, trotz aller Schicksalsschläge. Und er mahnt, in dunklen Zeiten den Lebenswillen nicht zu verlieren. Die Uraufführung hat er nicht mehr erlebt.
Gemeinsam mit der vorzüglichen Solistin Cornelia Grohmann erwecken Solén und das Philharmonische Orchester die Fülle an Wohlklang, Farbigkeit und Ausdruck, die romantische Gefühlswelt und die schillernde Vielfalt von Graeners Musik zu neuem Leben. Voller Leidenschaft und Engagement, sensibel und klangschön liefern die Musiker ein erstklassiges Plädoyer dafür, diesen Meister von den Rändern des Musikmeers ins Repertoire zurückzuholen. Und sie stellen sich damit selbst ein hervorragendes Zeugnis aus. Das alles verdient Anerkennung und Beachtung!

Eberhard Kneipel (Februar 2015)

Paul Graener CD-Cover Rahmen k
Paul Graener Innenseite Rahmen k


Paul Graener (1872-1944) – Wiener Sinfonie • Die Flöte von Sanssouci • Turmwächterlied • Flötenkonzert // Cornelia Grohmann, Flöte • Philharmonisches Orchester Altenburg-Gera • Eric Solén / Sterling CDS – 1090-2 / Total playing time 72’34

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